Nach Neustart: Umsatz im Einzelhandel halbiert
Artikel von Frank Jung /SHZ
KIEL Einen Monat nach einer schrittweisen Wiedereröffnung zieht der Einzelhandel in Schleswig-Holstein eine ernüchternde Bilanz. „Die Nachfrage ist überschaubar“, resümiert Mareike Petersen, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. Die Umsätze hätten sich innerhalb von vier Wochen mühsam von zunächst 40 auf jetzt 60 Prozent des Vorjahresniveaus heraufgerobbt. Das gelte summa summarum über sämtliche Branchen und Standorte. Speziell in den Innenstädten sei es noch mauer.
„Fußgängerzonen haben noch mehr zu kämpfen, weil ihnen zum Beispiel bisher der Tagestourismus gefehlt hat“, sagt Petersen. Auch sei die Lust am Bummeln nur wenig spürbar – doch gerade dabei können die Innenstädte ihren Trumpf ausspielen. „Es geht den Kunden jetzt um Zielkäufe“, so die Einzelhandelsexpertin. Heißt: Man weiß schon im Voraus genau, was man sucht, holt es sich und geht wieder raus. „Das nach links und rechts Gucken fehlt komplett.“ Petersen sieht dafür ein Bündel an Ursachen: ein eingeengtes Gefühl unter der Maske, Sorge vor Ansteckung, finanzielle Engpässe durch Kurzarbeit, Jobverlust oder Furcht davor. Den boomenden Online-Handel hingegen betreffen die ersten beiden Faktoren nicht. Vergleichsweise am besten gingen in Läden Sortimente aus Freizeit, Garten, Sport „und allem, was das Zuhause schöner macht“. Schwer getroffen sei die Textilbranche. Sie lebt besonders vom Gucken und Anprobieren mit Muße – und wird zudem enggetaktet mit Saisonware beliefert, die sich schnell staut.
„Auch der Wegfall der 800-Quadratmeter-Begrenzung vor zwei Wochen hat wenig gebracht“, urteilt Anja von Allwörden von „Rendsburg Marketing“. „Das Verhalten der Kunden ist verhalten.“ Gefühlt habe die Frequenz in der Ladenstraße allenfalls die Hälfte der Vor-Corona-Zeit erreicht. „Die Leute machen Besorgungen, nicht mehr.“ Wartezeiten gebe es wenn überhaupt nur vor ganz kleinen Läden. „Es ist so schade, die Geschäftsleute sind alle so bemüht und freundlich“. Lange Gesichter auch ganz im Norden: „Die Stimmung ist nicht gut“, berichtet Jens Drews, Sprecher der „Flensburger Gilde“. „Man merkt, dass viele in Kurzarbeit sind und dass durch die geschlossenen Grenzen die Skandinavier fehlen. Von denen leben wir ja zu einem sehr großen Teil.“ Etwas Optimismus schöpft Drews aus der vor wenigen Tagen wiedereröffneten (Straßen-)Gastronomie. „Das bringt hoffentlich ein Grundrauschen für eine positivere Stimmung und lockt den ein oder anderen, der dann auch etwas kauft. Sicher erscheint Drews dennoch, „dass viele Betriebsschließungen anstehen“. „Wir gehen davon aus, dass die Insolvenzen erst im Herbst kommen“, sagt Handelsverbands-Geschäftsführerin Petersen. Stundungen etwa von Mieten oder Sozialbeiträgen und das Kurzarbeitergeld für das Personal könnten dann an ein Ende kommen.